Vom kulturellen Kuratieren zur digitalen Revolution
Wenn wir den Buchmarkt in Rumänien als eine lebendige Karte betrachten, wäre die von 2004 eine einfache Landschaft mit einigen klaren Orientierungspunkten – Humanitas, Polirom, RAO – um die sich die gesamte rumänische Lesekultur gruppierte. Die Karte von 2024 sieht völlig anders aus: Es ist ein komplexes, intensiv digitalisiertes Territorium, bevölkert von Online-Communities und dominiert von Akteuren, die vor zwanzig Jahren noch nicht existierten.
In diesen zwei Jahrzehnten hat sich das Universum der Bücher nicht nur erweitert – es hat sich grundlegend verändert. Der Gesamtwert des Marktes ist von etwa 69 Millionen Euro auf fast 200 Millionen Euro gestiegen. Aber über diese beeindruckenden Zahlen hinaus hat sich vor allem die Art und Weise verändert, wie Bücher zu den Lesern gelangen und, vor allem, wer entscheidet, was gelesen wird.
2004: Als Verlage den Geschmack des Publikums prägten
Zu Beginn dieser Reise, im Jahr 2004, war der Buchmarkt gerade aus Jahrzehnten kommunistischer Isolation hervorgetreten. (Und das Buchmarketing hatte, in gewissem Maße, noch nicht den Durchbruch geschafft). Rumänien baute seine grundlegenden Bibliotheken wieder auf, holte verbotene Autoren nach und entdeckte das westliche Denken. In diesem Kontext hatten die Verlage eine fast messianische Rolle: Sie verkauften nicht nur Bücher, sondern bildeten das Publikum und schufen einen kulturellen Kanon.
Humanitas dominierte die Rangliste mit einem Umsatz von 2,3 Millionen Euro. Der von dem Philosophen Gabriel Liiceanu gegründete Verlag war das Symbol der postdezentralen Intellektualität. Bei Humanitas zu veröffentlichen bedeutete Anerkennung. Ihr Katalog – Philosophie, Memoiren, Essays, die Wiederentdeckung großer interbelischer Autoren – war ein echtes Kulturprogramm.
Daneben brachte RAO Distribution (2 Millionen Euro) die internationalen Bestseller und Thriller, die jahrzehntelang gefehlt hatten, während Polirom (1,8 Millionen Euro) von Iași aus monumentale Sammlungen der Weltliteratur aufbaute und zeitgenössische rumänische Prosa förderte.

Es war eine kleinere, fast handwerkliche Welt. Das gesamte damalige Top 10 generierte etwa 15 Millionen Euro – weniger als der heutige Marktführer. Aber es war auch eine Welt, in der der Verlag die Macht hatte, zu diktieren, was lesenswert war. Das Publikum, das begierig darauf war, zensierte Informationen zurückzugewinnen, akzeptierte diese Führung. Es war ein Angebotmarkt, kein Nachfragemarkt.
2014: Das Buch wird zum Konsumgut
Der Sprung ins Jahr 2014 zeigt einen gereiften und vor allem diversifizierten Markt. Der unangefochtene Marktführer ist jetzt die Grup Media Litera, mit einem Umsatz von 9,9 Millionen Euro, mehr als viermal so hoch wie der Marktführer von 2004. Der Aufstieg von Litera ist die Geschichte einer stillen Revolution: der Verbreitung durch Presse-Netzwerke. Durch Partnerschaften mit Zeitungen brachte Litera das Buch in Kioske, zu erschwinglichen Preisen, und verwandelte es von einem kulturellen Luxusgut in ein Massenprodukt. Enzyklopädien, Kinderbücher, Unterhaltungsliteratur – ihr Modell hat den Zugang zur Lektüre demokratisiert und ein neues Publikum angezogen, das möglicherweise keine traditionellen Buchhandlungen frequentierte.
Die alten, angesehenen Verlage halten durch. Humanitas erreicht Platz 3 (5,8 Millionen Euro), Polirom Platz 4 (5,4 Millionen Euro). Ihre Zahlen steigen erheblich, aber nicht explosiv. Sie bewahren ihre Identität, ihr Netzwerk, ihre Praktiken. Sie behalten ihr treues Publikum.

Doch die Landschaft fragmentiert sich. Verlage entstehen, die nicht mehr versuchen, einen universellen Kanon zu schaffen, sondern sehr spezifischen Interessen zu entsprechen. Nemira schafft eine leidenschaftliche Community rund um Science-Fiction und Fantasy mit dem Imprint „Nautilus“. Der Verlag Trei kapitalisiert das Interesse an Psychologie und bringt skandinavische Thriller mit der Sammlung „Fiction Connection“. Curtea Veche entdeckt eine profitable Nische in der persönlichen Entwicklung, Gastronomie und Biografien.
Der Markt wird nicht mehr von intellektuellem Angebot diktiert. Er wird von der Nachfrage des Publikums und dessen Segmentierung in Interessengemeinschaften geprägt.
2024: Der Triumph des neuen Marketings und die Macht der Online-Communities
Die Karte von 2024 ist fast nicht wiederzuerkennen. An erster Stelle steht nicht mehr ein traditioneller Verlag, sondern ein gerade erst gegründeter. Bookzone – mit einem erstaunlichen Umsatz von 19,7 Millionen Euro – ist der erste Verlag, der von Marketingexperten aufgebaut wurde und die gängige Vorstellung vom Verlag als Autoritätsquelle umkehrt. Das Buch wird zu einem Produkt (oder einer Dienstleistung!), das einem zunehmend vielfältigen Publikum angeboten wird. Das Digitale, von den „etablierten“ Verlagen ignoriert oder fast ignoriert, wird zum zentralen Element der neuen Verlagsoffensive. Bookzone veranschaulicht perfekt den Paradigmenwechsel: ein online gegründetes Unternehmen, das direkt an Leser verkauft, Buchhandlungen umgeht und ein extrem aggressives und intelligentes digitales Marketing nutzt.
Obwohl sie nichts erfunden haben, haben die Verleger des neuen Marktführers verstanden, vor vielen anderen, die Macht der Online-Communities, der Buch-Influencer und des BookTok-Phänomens auf TikTok. Ihr Katalog spiegelt diese Trends wider: persönliche Entwicklung, romantische Fiktion, Unternehmertum, Bücher, die schnelle Lösungen für konkrete Probleme versprechen. Bookzone verkauft nicht nur Bücher – es verkauft die Zugehörigkeit zu einer Community und das Versprechen persönlicher Transformation.

Auf den Plätzen 2 und 3 stehen zwei oft unsichtbare Giganten für den gewöhnlichen Leser: Art Klett (13 Millionen Euro) und die Grupul Editorial Art (12,9 Millionen Euro). Ihr Erfolg kommt vom Bildungsmarkt: Schulbücher, Hilfsmittel, Atlanten. Es ist ein weniger spektakulärer, aber extrem stabiler und profitabler Sektor. Die „Pflichtlektüre“ in Schulen bleibt ein starker wirtschaftlicher Motor.
Grup Media Litera hält sich solide auf Platz 4 (12,3 Millionen Euro) und setzt weiterhin auf Kinder- und Familienliteratur. Polirom (Platz 7, 6,1 Millionen Euro) und Editura Trei (Platz 9, 5,1 Millionen Euro) zeigen eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit und bewahren ihre Relevanz durch konstante Qualität und die Loyalität ihrer Leser.
Aber der aufschlussreichste Fall ist Humanitas, das auf Platz 10 mit 5 Millionen Euro angekommen ist – fast die gleiche Zahl wie 2014. Absolut gesehen ist der Verlag stabil. In einem Markt, der sich fast verdreifacht hat, bedeutet eine konstante Zahl jedoch tatsächlich einen dramatischen Rückgang des Einflusses. Humanitas ist seiner Mission nicht treu geblieben. Das Problem ist, dass das breite Publikum sich enorm diversifiziert hat und die neuen Generationen ihre Orientierung woanders suchen, oft geleitet von Algorithmen und Influencern, nicht von kuratierenden Verlegern.
Wer sind die Hauptakteure und welches Profil haben sie?
Um diese Transformation besser zu verstehen, schauen wir uns einige der Verlagsprofile genauer an:
Humanitas bleibt der Wächter der intellektuellen Werte – das Haus der Philosophie, des Essays, der Memoiren und der klassischen Fiktion. Ihr Publikum ist gebildet, loyal und sucht nach Tiefe. Die Autoren, die sie seit Jahrzehnten gefördert haben (Mircea Cărtărescu, Radu Paraschivescu, Mihnea Măruță) halten ihre Popularität und (neben anderen ähnlich bedeutenden Namen) ziehen weiterhin die Verkäufe des Verlags nach oben. Doch ihr Publikum, das konstant geblieben ist, tendiert dazu, sich zu einem Nischenpublikum zu entwickeln, während der Markt an Volumen und Komplexität gewinnt.
Polirom bleibt der Architekt großer Bibliotheken, das Standbein der Übersetzungen aus der Weltliteratur, mit besonderem Augenmerk auf zeitgenössische rumänische Autoren und den akademischen Bereich. Der Hauptvorteil des Verlags ist, dass er über Jahrzehnte hinweg praktisch der einzige war, der systematisch zeitgenössische rumänische Schriftsteller gefördert hat. Heute ist dies ein wichtiges symbolisches – aber auch finanzielles – Kapital geworden. Gabriela Adameșteanu, Dan Lungu, Dan Coman, zusammen mit Dutzenden anderen relevanten Namen, haben massive Neuauflagen erreicht, ebenso wie bedeutende Namen der zeitgenössischen Weltliteratur, die von Polirom ins Land gebracht wurden.
Grup Media Litera hat die Rolle eines Agenten der Demokratisierung des Lesens gewonnen – der Gigant des Massenmarktes, spezialisiert auf Kinderbücher, Enzyklopädien und zugängliche Fiktion, mit einem weitreichenden Vertriebsnetz. Die Strategie der Verlage in der Gruppe basiert nicht auf einigen Star-Autoren, sondern auf großen Mengen populärer und zugänglicher Titel, einschließlich übersetzter Fiktion (z.B. historische Romane, Flughafen-Bestseller, Enzyklopädie-Sammlungen).
Nemira hat eine der stärksten Fangemeinden im Land rund um die SF- und Fantasy-Literatur aufgebaut und ist normalerweise mit diesem Genre assoziiert. Obwohl die Bemühungen zur Diversifizierung des Angebots (und des Publikums) ernst zu nehmen sind (zeitgenössische rumänische Literatur, Kinderbücher, Biografien), bleibt die Identität des Verlags im Bereich SFF. Ihre Autoren: Frank Herbert, Stephen King, Andrzej Sapkowski.
Editura Trei erkundet die menschliche Psyche – führend im Bereich Psychologie und Psychoanalyse, aber auch ein wichtiger Akteur auf dem Markt für Thriller und Kriminalromane. Die wichtigste Sammlung ist die „Bibliothek der Psychoanalyse“, in der grundlegende Autoren wie Jung und Freud erschienen sind. Wie andere Verlage in der Spitze ist Trei das Zentrum einer Verlagsgruppe. Durch Pandora M, einen angrenzenden Verlag, erreicht die Gruppe Kinder und Jugendliche. Eine weitere angrenzende Marke ist Lifestyle Publishing, mit einem selbsterklärenden Namen.
Bookzone ist der Verlag, der den größten Schock auf dem Buchmarkt ausgelöst hat. Meister des Online-Marketings, ihr Katalog ist ein Barometer der von sozialen Medien generierten Trends, von Romantik bis persönliche Entwicklung. In der Young Adult-Variante stellt das Liebesbuch von Bookzone einen signifikanten Verkaufsnukleus dar. Auch die verfilmten Bücher – insbesondere die, die hinter erfolgreichen Serien auf Streaming-Plattformen stehen. Persönliche Entwicklung und Religion sind die anderen Genres, durch die der Verlag den größten Teil seines Umsatzes erzielt.
Art Klett und Grupul Editorial Art sind die stillen Giganten der Bildung – ihre Bücher stehen in den Rucksäcken von Millionen von Schülern und generieren immense Einnahmen, bleiben aber in den kulturellen Debatten unsichtbar. Ihr Einfluss wird von den Autorenteams und Experten bestimmt, die Schulbücher und Lehrmaterialien erstellen, nicht von einzelnen Figuren aus der Fiktion. In derselben Gruppe versucht der Verlag Arthur, die Freude am Lesen für sehr junge Leser zu fördern.
Verlage und Trends
Diese 20-jährige Reise zeigt uns, dass der Buchmarkt in Rumänien demokratischer, vielfältiger, aber auch fragmentierter geworden ist. Es gibt kein einzigartiges Zentrum mehr, das den Geschmack des Publikums diktiert, sondern eine Vielzahl von Interessenzentren, jedes mit seiner eigenen Community.
Der Leser von heute hat mehr Macht als je zuvor. Seine Entscheidungen, aggregiert durch Algorithmen und verstärkt durch soziale Netzwerke, können einen unbekannten Autor über Nacht zu einem Phänomen machen. Aber das bringt auch eine Herausforderung mit sich: das Risiko, die breitere Perspektive zu verlieren und in den Konsumbubbles gefangen zu bleiben, die durch automatische Empfehlungen geschaffen werden.
Die Herausforderung für die Zukunft wird das Zusammenleben von zwei scheinbar inkompatiblen Modellen sein: dem traditionellen, basierend auf Kuratierung, Prestige und langfristigem kulturellem Aufbau (repräsentiert durch Humanitas oder Polirom) und dem neuen, basierend auf Agilität, digitalem Marketing und schnellem Reagieren auf die Nachfrage des Marktes (veranschaulicht durch Bookzone).
Wahrscheinlich werden wir eine Hybridisierung erleben: Traditionelle Verlage werden gezwungen sein, ausgeklügeltere digitale Strategien zu übernehmen, um junge Menschen zu erreichen, während neue Akteure, nach finanzieller Konsolidierung, in prestigeträchtige Kataloge investieren könnten, um ihre kulturelle Position langfristig zu legitimieren.

Die Struktur der Leser in Rumänien (Eurostat-Daten, zitiert nach dem Blog Asta-contează.
In den letzten zwei Jahrzehnten gab es bedeutende Veränderungen im Buchkonsum. Laut Eurostat-Daten von 2022 ist Rumänien nicht mehr das Schlusslicht der EU in Bezug auf Lesepraktiken, obwohl viele Kategorien signifikant unter dem europäischen Durchschnitt liegen. So haben Männer (unabhängig vom Alter, aber vor allem über 55) die niedrigsten Werte. Gleichzeitig haben junge Frauen (16-29) häufige Lesepraktiken und dominieren die interne Rangliste in Bezug auf den Leseanteil.
Schließlich verändert sich auch das Machtverhältnis zwischen Buch, Verlag und Leser. Von einem Modell, in dem der Verlag vorschlug und Geschmäcker formte, sind wir zu einem Modell gekommen, in dem der Leser wählt und der Verlag auf die Nachfrage reagiert. Die alten, angesehenen Verlage bleiben wesentliche Orientierungspunkte, aber die neuen Territorien, die durch die Geschwindigkeit digitaler Verbindungen entdeckt werden, definieren zunehmend die Zukunft des Lesens. Nicht überraschend: Wenn sich der Buchmarkt in den letzten Jahrzehnten verdoppelt hat, kam ein großer Teil des Wachstums durch das Erscheinen neuer Verlage, die sich als Game-Changer erwiesen haben. Und ihre Superkraft war es, neue Publikumsegmente auf den Buchmarkt zu bringen – nicht unbedingt innovative Titel oder Genres.